Tagebuch von „Willi“

1. Folge 22.07. – 03.09.2004


Wie alle anderen Inhalte dieser Webseite unterliegen auch die Fotos dieses Tagebuchs dem Urheberrecht. Falls Sie Bilder haben möchten, können Sie uns gerne anfragen, aber bitte nicht einfach "abkupfern". Unsere ausführliche Urheberrechtserklärung finden Sie im >Impressum< (ganz unten).



Haben Sie meine Geschichte bis zum 22.07.2004 auf der Seite [Willkommen] schon gelesen? Heute weiss ich schon etwas mehr und kann weitererzählen.

 

Anfang August 2004 kam das Bunkerboot der Firma Göttert von Ludwigshafen längsseits. Früher fuhr es an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Das Personal brachte drei Festmachtaue und sonstiges Unterhaltsmaterial an Bord. Seit über 12 Jahre habe ich keine Farbbüchsen mehr gesehen, jetzt stehen wieder welche in meinem Laderaum.

 

Eines Tages kam auch mein Betreuer an Bord, räumte die herumliegenden Steine weg und schrubbte mich von vorne bis hinten sauber. Dabei brummelte er, dass nun wohl die Zeit gekommen sei, um Abschied zu nehmen.

Am Sonntag, 08.08.2004 wurde ich vormittags aus meinem geruhsamen Schlummer gerissen, von der Hauptstrasse her hörte ich die überlaute Musik der Streetparade. So um die Mittagszeit sah ich dann das schwarze Auto von meinem Freund an der Neckarpromenade vorbeifahren. Kurz darauf kam von hinten ein grosses Tankschiff mit dicken Leitungen an Deck angeschwommen. So ein Schiff habe ich hier am Neckar noch nie gesehen. Es verlangsamte die Fahrt und machte längsseits fest. Das Schiff ist im Eigentum des Familienunternehmens Ullrich aus Collenberg und heisst Ernst Ullrich Senior. Zwischenzeitlich holte mein Freund den Nachen vom Museumsschiff und ruderte zu meinem Liegeplatz hin. Es wurden Schraubenschlüssel geholt, und die Leute machten sich daran, meine Stahlfessel zu lösen.

 

Jetzt geht mir auf, dass es plötzlich ernst wird, bis jetzt war ja alles nur ein Traum. Die Angler die regelmässig und manchmal bis lang in die Nacht hinein am Neckarufer sitzen, fragen meinem Typen, was dies zu bedeuten habe. Er ruft zurück: „Wir haben für den Willi eine neue Zukunft, er wird erst auf einer Werft instand gesetzt, und dann seiner neuen Bestimmung zugeführt.“ Einer der Angler meint: „Schade, dass er weggeholt wird, in seinem Schatten haben sich immer Fische aufgehalten, und er gehört irgendwie an diesen Platz.“

Die Stahlklammern sind schnell gelöst, und das grosse Schiff zieht mich von meinem langjährigen sicheren Liegeplatz weg. Es wird mir jetzt schon etwas wehmütig, die Angler und die Passanten, die ich alle kenne, winken mir zum Abschied zu. Einen letzten Blick auch auf meinen langjährigen Freund, in dessen Schatten ich 12 Jahre lag, gemeint ist der alte Kran der hoch oben auf seiner Plattform thront. Jetzt bleibt er einsam und alleine zurück.

Bald ist die Neckarmündung erreicht. Nun geht es zu Tal. Ich sehe auf der anderen Seite die BASF Ludwigshafen. Das Rheinwasser spritzt vorne hoch und der Fahrtwind treibt es bis auf die Luken. Bald sind die Wehmut und das Bangen vor der Zukunft verschwunden. Ich geniesse die Talfahrt. Wir passieren Worms, dort wo der Hagen den Nibelungenschatz im Rhein versenkte.

Links und rechts befinden sich Leute am Ufer, badend oder an der Sonne liegend. Sportboote flitzen vorbei und bringen den alten Willi manchmal ganz schön ins schaukeln. Vorbei an Gernsheim und Nierstein erreichen wir bald die Mainmündung in Mainz.

Wir drehen und fahren ein Stück in den Main, bei der Firma Schumann werde ich an deren Spundwand abgelegt. Mein Typ wird von seinem Freund, Herr Clemens Stahl, abgeholt, und ich bin wieder alleine. Jetzt hänge ich nicht mehr stahlfest an Pfählen, sondern mit Tauen lose an meinem vorläufigen Liegeplatz. Ich bin schon etwas ängstlich und hoffe, dass mir hier nichts passiert.

Am 09.08.2004 erhielt mein Freund zu Handen unseres Vereins von der Excento Reederei AG eine erhebliche Geldsumme gespendet.

 

Ich musste nun ein paar Tage liegen bleiben, am 13.08.2004 kam dann frühmorgens das MTS Melanie von Köln her. Auch dieses Schiff gehört dem Familienunternehmen Ullrich aus Collenberg. Ich rätselte erst, wie mich das MTS Melanie weiterbringen will, auf Seit wie beim MTS Ernst Ullrich Senior geht nicht, weil wir dann für die Mainschleusen zu breit sind.

 

Zuerst wurde ich an meinem Liegeplatz gedreht. Dann wurde ich Kopf vor auf die Schubbühne des MTS Melanie gezurrt, und ab geht die Post. Es ist schon ein sonderbares Gefühl mit dem Heck voran zu Berg zu fahren.

In der Schleuse Eddersheim stand dann plötzlich mein Freund da. Wir fuhren nun an dem Hafen von Kelsterbach vorbei. Hier werden die grossen Tankschiffe mit Jet-Petrol für den Flughafen von Frankfurt gelöscht. Wir passierten die chemischen Fabriken von Hoechst.

Dann folgte die Skyline von Frankfurt und der Eiserne Steg, eine bekannte Fussgängerbrücke in Frankfurt.

Nach ein paar Schleusen erreichten wir Aschaffenburg, besonders gefallen hat mir der Nachbau eines römischen Hauses von Pompeji.

Eindrücklich auch das Schloss Johannisburg in Aschaffenburg.

Anschliessend fuhren wir durch eine schöne Landschaft. Im Main hat es etliche kleine Inseln. In Wallstadt brach die Dunkelheit herein, und wir mussten Feierabend machen. Mein Freund hatte von der Reise nicht viel gesehen, steckte er doch die meiste Zeit im Maschinenraum, dort machte er sich daran, die Gasöltanks zu reinigen.

Am 14.08.2004 erreichten wir morgens Erlenbach. Da an der Werft kein Platz war, legte mich die Besatzung von MTS Melanie gegenüber am Kai der Stadt Wörth hin. Dann hiess es Abschied nehmen. MTS Melanie fährt nun mit seiner Ladung weiter nach Wien. Schade ich würde da gerne mitfahren. Aber wer weiss, vielleicht kann ich diesen Weg bald aus eigener Kraft zurücklegen.

Am 17.08.2004 wurde mein Freund zuhause angerufen. Voller Freude erzählte er mir später, dass er von der Firma B+V Industrietechnik GmbH Simplan-Turbulo-Systeme aus Hamburg angerufen worden sei. Diese Firma ist unter anderem für ihre umweltfreundliche innovative Wasserschmierung der Wellenanlage bekannt. Diese Technik wird auch von der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) in Strassburg akzeptiert. Diese Firma hat sich nun bereit erklärt, unentgeltlich eine Wasserwellenschmierung für mich zu liefern. Sie ersetzt somit meine nicht ganz so umweltfreundlichen fettgeschmierten Lager meiner Antriebswelle, und ich werde durch diese nicht ganz preiswerter Technik zu einem Verkehrsmittel, das in Sachen Umweltschutz up to date ist.

Am 19.08.2004 kam mein Freund wieder an Bord. Ich staunte nicht schlecht, als ich sah, was er da alles an Material aus dem Auto ausräumte und bei mir auf das Lukendach stellte. Eigentlich wollte er das Material gleich in die Vorpiek wegräumen. Daran wurde er allerdings gehindert, standen doch immer wieder pensionierte Schiffische an Land, die voller Neugier wissen wollten,  was für ein Schiff ich sei, und was für Zukunftspläne wir haben.

Mein Freund gab Auskunft und verteilte die Folder meiner Vorgeschichte an die Leute. Es wurde von den Besuchern auch auf das hervorragende Schifffahrts- und Schiffbaumuseum der Stadt Wörth hingewiesen. Nachmittags, nach dem Aufräumen, konnte mein Freund endlich mit seiner Arbeit beginnen. Vorn wurde die Farbe vom Signal abgeschabt und eine erste Grundierung aufgebracht.

Am 20.08.2004 früh sah ich meinen Freund drüben auf der Werft herumlaufen. Später hörte ich, dass ich voraussichtlich am 24. oder 25.08.2004 auf die Helling hochgezogen werde.

 

Bevor mein Freund an Bord kam, beobachtet er zwischen dem Schrägufer und meiner Bordwand jede Menge Fische. Denen scheint es in meinem Schatten zu gefallen. Am Heck tummelt sich ebenfalls ein Schwarm Fische.

 

Am Vormittag kam dann auch sein Freund Clemens Stahl, zu zweit ging es flotter. Mein Freund bearbeitet jetzt mein Heckteil. Leider ist hier viel Rost und die Struktur der Bandeisen ist weitgehend zerstört. Hier müssen wir noch eine Lösung finden. Vormittags bekamen wir Besuch vom Bürgermeister der Stadt Wörth, er war in Begleitung einer der Schiffischen von gestern.

 

Clemens Stahl bewaffnete sich mit einer langen Bürste und einem Besen. Er rückte den die Spinnweben und dem langjährigen Dreck im Steuerhaus zu Leibe. Im vorherigen Zustand machte ich mit meinen Spinnweben dem Schlosskeller von Dracula Konkurrenz. Gegen Abend verliessen mich die beiden. Mein Freund muss noch nach Basel fahren, morgen ist dort die 100 Jahr Feier der ersten Grossschifffahrt nach Basel. In aller Bescheidenheit möchte ich doch bemerken, dass ich ja 1909 ein Vorläufer eben dieser Grossschifffahrt war.

 

Am 25.08.2004 vormittags kam „MTS Markus P“ längsseits, das Schiff gehört dem Unternehmer Hans Peter in Marktheidefeld. Die Besatzung stellt Positionslichter und eine blaue Seitentafel in das Steuerhaus. Somit haben wir eine weitere Materialspende erhalten.

 

Am Abend desselben Tages kam mein Freund wieder mit Material an Bord. Meine kleine Vorpiek bietet schon bald keinen Platz mehr.

Am 26.08.2004 sollte ich eigentlich auf die Werft, leider gibt es eine Verzögerung, jetzt heisst es erst nächste Woche. Heute hatten die zwei einiges unternommen, Priorität war das Ankerspill. Dieses wurde seit 12 Jahren nicht mehr genutzt. Dementsprechend ist alles festgebacken, sogar das Steuerbordanker ist in der Klüse festgerostet. Mit einer Dose Kriechöl versuchen die beiden das Ding wieder gangbar zu bekommen, allerdings nur mit mässigem Erfolg.

Am 27.08.2004 ist mein Freund weiterhin mit dem vorderen und hinteren Signal beschäftigt, er macht es sehr gewissenhaft. Clemens Stahl seinerseits kümmert sich mehr um meine Technik. Erst hämmert er mit mehr oder weniger Erfolg am Ankerspill herum. Misserfolg, die Antriebswelle sitzt bombenfest. Es muss eine weitere Dose Kriechöl dran glauben, den Hersteller freut es. Clemens Stahl gibt auf und wendet sich mit mehr Erfolg dem Hauptmotor zu. Nach einigen Kraftanstrengungen und dem entsprechenden Werkzeug liess sich der vermeintlich festgehockte Motor zu unserer Freude nun doch drehen.

Die beiden rätseln schon lange wie die Wasserkühlung des Motors funktioniert. Mein Freund entdeckt neben dem hintersten Pumpenkasten auf Backbordseite eine rätselhafte Leitung. Diese kommt von unten und führt hoch zum Gangbord, oben ist ein Schwanenhals. Dieser lässt den Schluss zu, dass es sich um eine Entlüftung handelt, von was?

Die beiden holen die Straudielen im hintersten Teil Backbord des Laderraums weg. Anzumerken ist, wie einfach und überlegt die Technik zum Feststellen der Straudielen ausgeführt ist. Unter den Straudielen kommt ein flacher Boden zum Vorschein, dieser ist die Oberseite eines grossen Aussenhautkühlers. Vom Maschinenraum aus gehen zwei Leitungen in diesen grossen Kühler, eine Zu- und eine Rücklaufleitung. Jetzt ist nur zu hoffen, dass die Durchläufe noch funktionieren und nicht mit Rost und Dreck verstopft sind.

Episode: Unter den Straudielen entdeckte mein Freund meinen letzten Bewohner, es ist eine kleine Ratte. Sie ist wohl verdurstet und liegt total ausgetrocknet auf den Ladungsresten Raps von meiner letzten Reise. Zwischen den Spanten findet sich ein Haufen zerfetzter Karton, das war das Nest der Ratte.

 

02.09.2004 am späten Nachmittag kam mein Freund wieder an Bord. Zuerst wurden die Gasöltanks endgereinigt, dann kam die Ecke im Maschinenraum mit dem Batteriehalter dran. Im Anschluss machte er sich an die Reinigung der Flurplatten. Diese sind von einer zähen, undefinierbaren Masse bedeckt. Mit Gasöl, Drahtbürste, Lappen und Kraft rückt er dem Dreck zu Leibe.

03.09.2004 Es war diese Woche geplant, dass ich auf die Helling gezogen werde, leider klappt es wieder nicht. Mein Freund arbeitet morgens an den Flurplatten weiter, am frühen Nachmittag ist er mit einem ganz passablen Resultat fertig.

Meine Flurplatten auf Steuerbordseite sind nun sauber, aber der blaue Overall inklusive der Schuhe meines Freundes sind von oben bis unten gleichmässig voll von öligem, nach Gasöl stinkendem, klebrigem Dreck.

Fortsetzung folgt